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Inhalt

Die Ragazer Verschwörung gegen das Goldene Buch von Pfäfers

1794 - 1861
Als 1794 in Paris die Wogen der Französischen Revolution am höchsten schlugen, verschworen sich einige Ragazer, dem Kloster Pfäfers das Goldene Buch zu rauben. Sie wollten es samt den darin verzeichneten Herrschaftsrechten in ihren Besitz bringen und sich so davon befreien. Seit dieser Episode sind 200 Jahre verstrichen - Grund genug, sich daran zu erinnern, dass es auch im Sarganserland revolutionäre Bestrebung gab.

Die Herrschaft des Klosters Pfäfers

Seit dem Mittelalter besass das Kloster Pfäfers im Taminatal und in Ragaz umfangreiche Feudalrechte. Es beanspruchte die Landeshoheit, besass die niedere Gerichtsbarkeit, verfügte über die Grundherrschaft und teilweise auch über die Leibrechte der Untertanen. Darüber hinaus stand der Abtei in einer Reihe von Pfarreien im Sarganserland, im Linth­gebiet, im Rheintal und in Graubünden die Kollatur zu, das mit Einkünften und Einfluss versehene Recht zur Pfarrwahl. Trotz dem Fürstentitel des Abtes übte jedoch der eidgenössische Landvogt im Schloss Sargans die eigentliche Landeshoheit und die hohe Gerichtsbarkeit im Sarganserland aus.

Das komplizierte und unübersichtliche Gefüge der mittelalterlichen Feudal- und Herrschaftsrechte begründete sich historisch, war aber am Ende des 18.Jahrhunderts anachronistisch und erneuerungsbedürftig geworden. Das galt auch für die Klosterherrschaft. Diese hob sich zwar durch Milde und Wohltätigkeit von manch anderen Gebieten ab, doch bestimmte auch sie patriarchalisch über das Leben ihrer Untertanen.

Das Goldene Buch - Symbol der Macht

Zahlreiche Dokumente hielten die Rechte des Klosters Pfäfers fest. Doch genoss keines die Bedeutung und Wertschätzung des Goldenen Buches. In dieser um 1080/90 ent­standenen Prachthandschrift wurden später auch rechtliche Texte eingetragen. Mit wenig Phantasie lässt sich vorstellen, wie die Konventherren den Untertanen ihre Ansprüche mit den Texten bewiesen, wie archaische Schrift und Sprache deren Ehrfurcht vor allem Geschriebenen verstärkten und wie die schimmernden Miniaturen und der Glanz der silbervergoldeten Beschläge von 1590/1635 dem Buch nicht nur den Namen "Liber Aureus", sondern auch legendären Nimbus verliehen. Über die Tatsachen hinaus sah das Volk darin den Schatz des Klosters, den Hort einer umfassenden Macht, die das Buch dem Besitzer verlieh. Was darin verzeichnet war, blieb unverrückbar wie das Evangelium selbst, dessen überirdische Herkunft die kostbaren Evangelistenbilder verkünden.

Hier liegt der Hintergrund zu einem Bericht aus dem Jahre 1834, den das Staatsarchiv St. Gallen aufbewahrt. Darin erzählt der Ragazer Peter Widrig aus der Linie der Wilhelmen über die Ereignisse von 1794. In einem Auszug aus dem Goldenen Buch wollte er gelesen haben, "zwischen der Sahr (Saar bei Sargans) und dem Gärbs-Bache (Görbsbach bei Vättis) so in Rhin laufen, sei alles ihr Eigentum, Bewegliches und Ohnbewegliches,  über Leüth und über Vich, ja sogar das Jus noctondi und ein Wort Juhs asalÿ, welches Wörtlein kein Lateiner zu deütsch hate wollen auslegen".

Das nicht existierende legendäre "Recht zur ersten Nacht" sollte hier wie überall die ohnmächtige Rechtlosigkeit der Leibeigenen nachweisen. Davon erzählt auch eine Pfäferser Sage, eine andere vom Recht auf den Todfall, die verhasste Erbschaftssteuer. Das unübersetzbare "Jus asal9" zeigt, dass man im Goldenen Buch den Träger weiterer unbekannter Rechte und Geheimnisse sah. Widrig glaubte auch, für die Heimtücke der Klosterherren einen Beweis zu besitzen. Um einem gewissen Trieth sein Schloss Wartenstein abzunehmen, "gaben sie dem Thrieth Reisegeld um Jerusalem eine Wallfahrt zu machen, welcher nicht mehr zurückgekommen".

Die Verschwörung

1793/94 erreichte in Frankreich der revolutionäre Terror seinen Höhepunkt. Auch im Sarganserland war man informiert, begeisterte sich für die neuen Freiheitsideen oder entsetzte sich über die Enthauptung des Königs. Nach dem Bericht von Peter Widrig, damals Rathaus- und Archivbesorger von Ragaz, kamen im Oktober oder November 1794 18 Männer (nach andern Berichten 12 oder 14) ins Rathaus, verlangten ein Zimmer und Licht und luden Widrig zur Teilnahme ein. Der Anführer, Antoni Bürgi, rief zuerst die allerheiligste Dreifaltigkeit an. Wie Widrig erzählt, eröffnete er nun das "Vorhaben, dem Kloster Pfeffers das so genannte Goldne Buch und den weltlichen Gewalt zu entnehmen, doch keineswegs um das Geringste an Geistlichkeit, Religion, Speis oder Trank zu beschädigen". Nicht gegen das Kloster richtete sich somit die Verschwörung, sondern gegen das Buch, das Symbol seiner Macht. Die Anwesenden stimmten dem Vorhaben zu. Danach beteten sie auf Anraten Christian Widrigs stehend ein Vaterunser. Ruedi Heini zeichnete mit Kreide einen Ring auf den Tisch, in den sie mit den Schwurfingern tupften und gelobten, "dass sie einander treu seyn wollten und alles verschweigen".

Mehrere Abende wurde beraten. In den anderen Gemeinden wollte man zunächst eine Hundertschaft von Verbündteten suchen. Landeshauptmann Joseph Franz Bernold, Schultheiss in Walenstadt, sowie Landesfähnrich Kolb in Mels und einige andere Beamte sollten eingeweiht werden, jedoch misstraute man den meisten Oberhäuptern des Lands und der Gemeinden. Bei der Aktion wollten die Verbündeten im Morgengrauen bewaffnet vor das Kloster ziehen. "Solten sie nicht eingelassen werden, solten sie mit Gewalth eindringen, den Fürsten und die übrigen Religiosen in die Kirche (jedoch mit aller Manier)füehren, allda von Ihnen die erlassung aller Abgaben forderen und nach Wäigerung das bare geldt und die Schriften, jedoch der Kirchen ohnbeschadet, sich zueignen" - und vor allen andern Schriften das Goldene Buch. Keine Gnade fand Widrigs Vorschlag, den Aufstand mit einer brennenden Fackel auf der Ruine Freudenberg auszulösen.

Zu Landeshauptmann Bernold wurde eine Dreierdelegation gesandt. Sie beklagte sich über das Kloster und wünschte, Ragaz unmittelbar dem Landvogt zu unterstellen, verlor aber kein Wort über die Verschwörung. Bernold, selbst von aufklärerischem Gedankengut erfüllt, zeigte Verständnis für die Beschwerden. Er wusste um die Unzufriedenheit in vielen Landesgegenden, und auch er beklagte den Immobilismus der regierenden Kantone und der Pfäferser "Pfaffen". Er riet jedoch, den Landvogt aufzusuchen, der ein kluger Mann sei, diesen um Rat zu fragen und um Verbesserungen zu bitten. Diese Offenheit sollte Bernold teuer zu stehen kommen: die Verschwörer legten sie als Billigung ihres Vorhabens aus und verbreiteten dies im Land, um Mitstreiter zu gewinnen.

Der Aufstand scheitert

Die Vorgänge waren nicht verborgen geblieben. Am 2. Dezember 1794 sandte Fürstabt Benedikt Bochsler seinen Dekan Joseph Arnold und den Kanzler Basilius Helbling nach Sargans, um den Landvogt um Schutz und Schirm zu bitten. Es hätten sich "einige missvergnügte Ragazer von der niedrigsten Volks Class untereinander verbunden, sich aller Abgaben, Zehenden, Lehen und Grundzinsen mit Gewalt zu entledigen". Emissäre seien in Vilters, Wangs, Mels und Walenstadt von Haus zu Haus unterwegs. Der Fürstabt selbst floh vor der Gefahr.

Landvogt Franz Joseph Michael Letter aus Zug beriet sich mit Pannerherr Good und Landammann Oberli und entsandte ein Füsilierdetachement, um Ragaz zu besetzen. Der entscheidende Schlag gelang dank der Anzeige von Alois Wachter, der als Bruder des Paters Gregor ein Anhänger des Klosters war. Er meldete, die Verschwörer seien im Wangser Rathaus am Zechen, durstig von ihrer Fahrt. Landammann Oberli selbst führte das Melser Pikett nach Wangs, liess das Rathaus nachts um zwei Uhr umstellen, befahl, über den Haufen zu schiessen, wer einen Mucks mache, verhaftete 13 Ragazer und brachte sie aufs Schloss. Ein weiterer Mann wurde in Mels auf der Gasse von einer Patrouille erwischt. Der Aufstand hatte ein Ende, bevor er begann. Verbündete Maienfelder und Malanser, die an der Tardisbrücke auf ein Fackelzeichen von der Pfäferser St.Georgen-Kapelle warteten, schlichen nach Hause.

Tags darauf, am 3. Dezember, beriet der Landvogt den Landrat, erstattete Bericht und konfrontierte Landeshauptmann Bernold mit den ihn belastenden Meldungen. Auf glühenden Kohlen sei er gesessen, berichtete Bernold später. Zwar bestritt er, jemals etwas Aufrührerisches gehört zu haben, doch war seine einflussreiche Stellung erschüttert.

Verhör im Schlosskerker

Ein halbes Jahr blieben die Gefangenen im Schlosskerker, auch Peter Widrig, den man wie 20 weitere Ragazer zu Hause verhaftet hatte. Einer nach dem andern wurde hart verhört. Widrig verweigerte die Aussage und wurde "5 ganze Tage her genommen". Schlimmer als die Tortur waren die Gerüchte, welche die Anhänger des Klosters im Land ausstreuten: die Gefangenen würden geköpft oder auf die Galeeren verkauft. Kein Wunder, dass Peter Widrig vor Angst und Schrecken in der Gefangenschaft todkrank wurde.

Bernold, gegen den weiterhin Verdacht bestand, wurde erst Monate später verhört. Er wurde seiner Ämter entsetzt und hatte sich vor der Tag­satzung in Frauenfeld, der obersten Behörde, zu verantworten. Diese erteilte ihm einen Zuspruch (Verweis), belegte ihn aber mit den hohen Verfahrenskosten von insgesamt 130 Gulden. Immerhin wurde er wieder in seine Ämter eingesetzt.

Ende mit mässigem Schrecken

Die regierenden Orte beschlossen, die Aufrührer durch den Landvogt abstrafen zu lassen. Doch kamen die Meuterer, wie sie der Landvogt nannte, einigermassen glimpflich davon. Sie wurden unter Aufsicht bewaffneter Unterländer an einem Sonntag vor der Ragazer Kirche an den Pranger gestellt "mit einem Zedel an der Brust hangend mit grossen Buchstaben 'Ruhestörer". Dazu kamen harte Bussen an den Landvogt, für Peter Widrig 50 Louisdors, ein Vermögen. Ausser Bernold (Widrig nennt für ihn 200 Louisdors) musste auch Landesfähnrich Kolb 100 Louisdors entrichten, da auch er als Mitwisser nicht Anzeige erstattet hatte. Wie uns Peter Widrig überliefert, kostete beide der ganze Handel noch einmal so viel Geld. Minderbemittelte wie Leonhard Zay und Christian Widrig zahlten nichts, mussten aber drei weitere Monate im Schloss Sargans einsitzen.

Eine vergessenen Episode

Die Ereignisse, überliefert in den Archiven der regierenden Orte und in Bernolds Privatchronik, wurden Jahrzehnte später auch im Sarganserland noch schriftlich festgehalten. 1834 stellte Anton Henne, Kantonsarchivar und Kassationsgerichtspräsident, Nachforschungen an. Als Ergebnis erhielt er Peter Widrigs langen, etwas unbeholfenen Bericht. Widrig war seines Lebens nicht mehr froh geworden. Seine Hausmeisterstelle hatte er verloren. Als Ragaz im Franzosenkrieg 1799 in Flammen aufging, wurde auch er "mit grossem Unglüke heym gesucht, Feüers Brunst, Einquartierung", später von "Vieh und Ross Presten und Krankheiten". Arbeit als Lehrer und Organist wurde ihm verweigert, denn die Pfarrherren der Gegend, meist Päferser Konventualen, duldeten keinen ehemaligen Aufrührer als Lehrer. Einzig als Landjäger konnte er zwischen 1812 und 1816 dienen. Seinen Brief schloss Widrig mit der flehentlichen Bitte, Henne möge ihm eine Landjägerstelle verschaffen.

Er habe es wahrhaft nötig, schrieb der ehemalige Hauptmann J. Zay darunter, der soeben im Begriffe stand, nach Amerika auszuwandern. Zay übersandte Henne eine Liste von Ragazern, die an der Verschwörung beteiligt gewesen waren: Rudolph Heini, die Brüder Anton und Peter Bürgi, Peter und Joseph Leonhard Zay, Rudolph und Christian Widrig, Anton Locher Stöcklis und sein Sohn Heinrich.

Allmählich verblasste die Erinnerung an die Episode. Als Kantonsachivar Otto Henne am Rhyn 1861 weiteren Aufschluss begehrte, suchte Baddirektor Flavian Egger im Gemeindearchiv vergeblich nach Aufzeichnungen. Er selbst kannte noch den Namen des Zuträgers Anton Wachter, die Strafen von Leonhard Zay, Peter und Christian Widrig, die Mitwisserschaft von Statthalter Bernold. Bedauernd schrieb Egger: "Die Bestraften sind nun todt, und während ihrem Leben mochten sie nur ungern über disen Handel sich geäussert haben."

Auch infolge der Umwälzungen der napoleonischen Zeit blieb die Ragazer Verschwörung Episode. Ein letztes Mal hatte im Sarganserland die alte Ordnung ihre Macht bewiesen, und Bern gratulierte Abt, Landvogt und Landammann zu einem Erfolg, der nicht von Dauer sein sollte. Immerhin aber hatte das scharfe Durchgreifen von Landvogt und Landesoberen zur Folge, dass das Goldenen Buch erhalten blieb - andernfalls wäre es wohl in den revolutionären Wirren der Jahre 1798/99 untergegangen.

Markus Kaiser

Quellen
Staatsarchiv St. Gallen AA 4- 1 b- 19. Götzinger, Ernst: Statthalter Bernold, der Barde von Riva. In: Neujahresblatt des Historischen Vereins, St. Gallen 1890. Nigg, Theophil: Historisches und kulturhistorisches Allerlei aus der Pfäferser Klosterzeit, Mels 1934. Senti, Alois: Sagen aus dem Sarganserland, Basel 1974, Ragazetta spezial 3 / Oktober 2006

Dem Einband und dem aufwändigen Goldschmuck der Miniaturen und Initialen verdankt die Handschrift den Namen "Goldenes Buch". Der Pfäferser Liber Aureus von 1590 / 1635 mit den silbervergoldeten Beschlägen:
Der Pfäferser Liber Aureus von 1590 / 1635 mit den silbervergoldeten Beschlägen.